Der Ostrakismos, das berühmte „Scherbengericht“ der athenischen Demokratie, hat in der antiken Überlieferung vergleichsweise reiche Spuren hinterlassen, allerdings ist es gerade diese Reichhaltigkeit der Quellen, die die Forschung vor gravierende Probleme stellt. Die wesentlichen Fragen zum Wesen und zum Ablauf des Ostrakismosverfahrens können nicht aufgrund zeitgenössischer Quellen, sondern nur anhand der von Autoren der hellenistischen und römerzeitlichen Epoche gebotenen Evidenz beantwortet werden. Denn im Gegensatz zu Autoren wie Theophrast, Philochoros, Plutarch oder Dio Chrysostomos sahen die Zeitgenossen keine Veranlassung, Selbstverständliches zu erklären.
Basierend auf den 2002 unter der Leitung von Peter Siewert herausgegebenen zeitgenössischen Ostrakismos-Testimonien wurde nun in einem vom FWF geförderten Projekt zum hellenistischen und römischen Ostrakismos-Diskurs erstmals eine übergreifende Analyse aller ostrakismosbezogenen Textpassagen aus hellenistischer und römischer Zeit und ihre Verwertung zur Erstellung eines Gesamtbildes des Ostrakismos in Angriff genommen. Nur anhand der dabei erarbeiteten Detailanalysen konnten Fragen nach Natur, Funktion und politischer Rechtfertigung des Ostrakismos auf neuer Grundlage beleuchtet werden. Es bot sich die seltene Gelegenheit, den Diskurs zu einer zentralen Institution der athenischen Demokratie von der Zeit ihrer Einführung bis in die römische Kaiserzeit in seiner Entwicklung nachzuverfolgen und zu rekonstruieren.
Der Ostrakismos-Workshop bringt nationale und internationale Kooperationspartner zusammen, um den erfolgreichen Abschluss der Wiener Ostrakismos-Studien zu begehen. Die Ergebnisse des Projekts sollen kritisch diskutiert und mit den aktuellen Forschungsergebnissen und -vorhaben internationaler Experten für das klassische Athen in Beziehung gesetzt werden.