Römische Prozessprotokolle auf Papyrus. Neue Dokumente, neue Perspektiven
FWF-Projekt P 31021
Laufzeit: 01.04.2018-31.03.2022
Projektleitung: Bernhard PALME
Mitarbeiterin: Anna DOLGANOV
Die Etablierung des Imperium Romanum brachte römisches Recht und Gerichtswesen in die Provinzen von Britannien bis Ägypten. Die Rechtsprechung war eine zentrale Aufgabe der Statthalter und hochrangiger Amtsträger, aber auch von lokalen Beamten in den urbanen Metropolen. Eine außergewöhnlich gute Dokumentation der Gerichtspraxis liegt aus Ägypten vor, wo das trockene Klima über 400 originale Prozessprotokolle und ähnliche Dokumente auf Papyrus bewahrt hat. Dies sind einzigartige Zeugnisse der Rechtsprechung in einer Provinz des Römischen Reiches. Die meisten dieser Dokumente sind jedoch nur fragmentarisch erhalten oder liegen in alten Editionen ohne Übersetzung und Kommentar vor, weshalb sie bislang auch kaum adäquat in die historische und rechtsgeschichtliche Diskussion mit einbezogen werden konnten. Ziel des Projektes ist einerseits die Edition bislang unpublizierter Prozessprotokolle sowie die kritische Neuedition von Protokollen, bei denen durch neue Lesungen, Ergänzungen oder Fragmente ein substantiell revidierter Text zu gewinnen ist. Mit ca. 70 neuen Texten soll die Quellengrundlage für weiterführende Studien zur römischen Rechtspraxis erweitert und abgesichert werden; zugleich sind neue Informationen über die Dokumentations- und Archivierungspraxis römischer Amtsträger zu erwarten. Die zu edierenden Texte stammen vor allem aus der Papyrussammlung der Österreichischen Nationalbibliothek, vereinzelt auch aus anderen europäischen und nordamerikanischen Sammlungen und decken den gesamten Zeitraum ab, aus dem Prozessprotokolle erhalten sind (1. bis 6. Jh. n. Chr.).
Ein zweites Ziel des Projektes ist andererseits die Analyse der Prozessprotokolle hinsichtlich ihrer Typologie, ihres strukturellen Aufbaus und ihrer formalen Gestaltung. Basis dieser Analyse ist das gesamte Corpus der Prozessprotokolle. Dabei sind die Grundzüge des Aufbaus dieser zwar oftmals bruchstückhaften, aber stereotyp gestalteten Protokolle herauszuarbeiten. Die genaue Kenntnis der Gestaltungskriterien wird das Verständnis der einzelnen Schriftstücke und die Einordnung fragmentarischer Textteile wesentlich fördern. Die unterschiedlichen Formen der Protokollierung –z.B. Auszüge aus den Amtstagebüchern in römischer Zeit, zweisprachige (lateinisch und griechisch) Einzelprotokolle in der Spätantike –werden Veränderungen in der amtlichen Handhabung sowie Archivierung der Schriftstücke zeigen und damit zentrale Fragen der römischen Dokumentationspraxis berühren. Die Editionen sollen in einem Corpusband publiziert werden, welcher auch die Analyse der Typologie und Formalgestaltung sowie ein kritisches Inventar aller Prozessprotokolle enthält und damit die erste systematische Studie zu dieser Quellengattung bietet. Die Ergebnisse des Projekts werden unmittelbare Relevanz für die Urkundenlehre sowie die Kenntnis der römischen Amtsführung und Kanzleipraxis haben.