Vom Nil zum Kaukasus
Internationales FWF-Projekt I 4676-G | RFBR - Russian Foundation for Basic Research
Laufzeit: 2020-2024
Projektleitung: Fritz MITTHOF (FWF), Elena CHEPEL (RFBR)
Mitarbeiterinnen: Sophie KOVARIK (FWF PostDoc)
Das bilaterale österreichisch-russische Forschungsprojekt widmet sich einer Sammlung von Schriftstücken aus Ägypten auf Papyrus, die heute im Georgischen Nationalen Handschriftenzentrum verwahrt werden. Auf welchem Weg und unter welchen Umständen sind diese Papyri vom Nil in den Kaukasus gelangt? Wo und wann genau wurden sie gefunden oder erworben? Wem ist die Existenz der Sammlung zu verdanken und wie war und ist ihre Stellung in der zeitgenössischen und modernen Forschung?
Diesen Fragen wird in einer historischen Spurensuche nachgegangen, die auf zwei Ebenen geschieht: auf der einen Seite werden die Papyri, die bisher nur zu einem Teil bearbeitet wurden, gesichtet, entziffert, ediert und in einen historischen Kontext gestellt, auf der anderen Seite liegt der Fokus auf den Archivalien rund um den Ankauf und die Erforschung dieser Sammlung, die einen Einblick in die Wissenschaftsgeschichte der jungen Disziplin Papyrologie im frühen 20. Jh. gewähren.
Begründer und Eigentümer der Sammlung in Tiflis war der russisch-georgische Gelehrte Grigol Zereteli, der zu den Pionieren der Papyrologie zählt. Sein Lebenslauf war wechselvoll, er durchlebte den Kollaps des Zarenreiches, die Geburt Georgiens als Nationalstaat und seine Eingliederung in die Sowjetunion und fiel schließlich den Stalinistischen Säuberungen zum Opfer.
Die Papyri in Tiflis sind vorwiegend in altgriechischer Sprache verfasst und stammen aus einer Epoche, als Ägypten fester Bestandteil der griechisch-römischen Mittelmeerwelt war. Sie sind zwischen der Eroberung des Landes durch Alexander den Großen und der arabisch-islamischen Ausbreitung entstanden (ca. 300 v.-700 n.Chr.) und bieten ein breites Spektrum an Genres, so finden sich darunter gleichermaßen Briefe, Verträge, Verwaltungsakten, Abrechnungen, Amulette aber auch literarische, und medizinischen Texte.
Papyrusdokumente wurden von ägyptischen Bauern (Fellachen) seit besonders den 1870er-Jahren in den Randzonen des Niltals auf der Suche nach Dünger (Sebbach) anfangs eher zufällig entdeckt, recht bald aber gezielt gesucht und in riesigen Mengen geborgen. Sie fanden sich in den gewaltigen Überresten der Mülldeponien antiker Siedlungen, wo der Schriftträger dank der klimatischen Bedingungen die Jahrtausende weitgehend unbeschadet überdauert hatte. Diese Schriftstücke erlauben einen unverstellten Blick auf den Alltag antiker Menschen und die Gelehrtenwelt war von der Möglichkeit fasziniert, verlorene antike Literatur wiederzugewinnen und den frühen Christen (und ihren Schriften) möglichst nahezukommen. Hunderttausende Dokumente wurden damals angekauft und nach Europa und Nordamerika gebracht. Nicht selten wurden dabei zusammenhörige Funde oder sogar Fragmente ein und desselben Textes über die Länder und Kontinente verstreut. Das Projekt berührt dabei auch eine Thematik, der in der aktuellen Debatte große Bedeutung zukommt: die physische und intellektuelle Aneignung des historischen Erbes des afrikanischen Kontinents durch die Kolonial- bzw. Großmächte.